Ein 0:0 in Kingston – und plötzlich ist Curaçao Weltmeisterschaftsteilnehmer. Der karibische Inselstaat mit gerade einmal 156.115 Einwohnern hat sich am 16. November 2025 als kleinster Staat aller Zeiten für die FIFA-Fußball-Weltmeisterschaft 2026USA, Kanada und Mexiko qualifiziert. Kein Wunder, dass die Nachricht von den Niederlanden bis nach Südafrika Schlagzeilen machte. Denn wer hätte gedacht, dass ein Land, dessen Bevölkerung kleiner ist als die von Münster, jemals das größte Turnier der Welt erreichen würde? Und das, obwohl sein Trainer – eine Legende des Fußballs – nicht einmal auf der Tribüne saß.
Ein Team ohne seinen Chef
Während die Spieler von Curaçao Football Association in Jamaica ihren Platz in der Geschichte sicherten, saß Dick Advocaat 14 Flugstunden entfernt in Den Haag. Der 78-Jährige, der seit 2024 das Team trainiert, hatte aus familiären Gründen auf die Reise nach Jamaika verzichtet. "Es ist eine sehr schwere Entscheidung, die Jungs hier verlassen zu müssen", sagte er dem niederländischen Magazin Voetbal International. "Ich habe die Entscheidung schweren Herzens getroffen – aber die Familie ist wichtiger als Fußball." Ein Satz, der mehr sagt als viele Trainerreden. Advocaat, der die niederländische Nationalmannschaft 2004 ins EM-Halbfinale führte, bei PSV Eindhoven, Glasgow Rangers und Borussia Mönchengladbach Meisterschaften gewann, verzichtete auf den Moment, den er selbst als den größten seiner Karriere bezeichnete.Stattdessen übernahmen seine Assistenten das Kommando. Und was für eine Leistung: In zehn Qualifikationsspielen – gegen Teams wie Jamaika, Panama und Bermuda – gab es keine einzige Niederlage. Kein Sieg war leicht, aber das 0:0 gegen den Gastgeber war der entscheidende Moment. Die Mannschaft, die mit Spielern aus der Regionalliga wie Jordi Paulina (Borussia Dortmund II) besetzt ist, spielte mit der Disziplin einer Mannschaft, die weiß, dass sie nichts zu verlieren hat. Und genau das war ihr Vorteil.
Ein Rekord, der Geschichte schreibt
Curaçao übertrifft damit den bisherigen Rekordhalter: Island, das 2018 mit 334.000 Einwohnern die WM erreichte. Curaçao hat weniger als die Hälfte – nur 156.115 Menschen. Das ist weniger als die Einwohnerzahl von Lüneburg oder Flensburg. Und doch: ein WM-Ticket. Die FIFA bestätigte: Dies ist der kleinste Staat, der jemals die Endrunde erreichte. Der Spiegel nannte es "eine der größten Sensationen der WM-Geschichte", der Focus sprach von einem "Rekord, der nie wieder gebrochen werden wird".Was macht diesen Erfolg so besonders? Es ist nicht nur die Größe. Es ist die Geschichte. Curaçao ist kein unabhängiger Staat, sondern ein Land innerhalb des Königreichs der Niederlande. Es hat keine eigene FIFA-Mitgliedschaft, sondern spielt als eigenständiges Team unter dem Dach der niederländischen Fußballverwaltung – und doch, in der Praxis, als vollwertiger Teilnehmer. Der Erfolg ist ein Triumph der Identität. Ein kleiner Ort, der trotz aller strukturellen Nachteile – kein Profiliga-System, kaum Sponsoren, kaum Infrastruktur – eine Weltmeisterschaft erreicht hat.
Die anderen WM-Teilnehmer der Concacaf
Neben Curaçao qualifizierten sich auch Panama (3:0 gegen El Salvador) und Haiti (2:0 gegen Nicaragua). Für Haiti ist es die erste WM-Teilnahme seit 1974 – eine Wiedergeburt nach Jahren der politischen und wirtschaftlichen Krise. Curaçao hingegen feiert sein WM-Debüt. Bislang war das Team in der Concacaf-Qualifikation immer in der Vorrunde gescheitert. Jetzt? Jetzt steht es auf der Weltbühne.Die Mannschaft wird in der Gruppenphase auf starke Gegner treffen – vermutlich Brasilien, Spanien oder Deutschland. Aber wer will das Team jetzt noch unterschätzen? Die Spieler sind nicht nur talentiert, sie sind auch motiviert. Sie wissen: Sie spielen nicht nur für sich, sie spielen für eine ganze Insel. Für die Kinder, die auf den Straßen von Willemstad mit zerfledderten Bällen trainieren. Für die Großeltern, die seit 50 Jahren auf diesen Moment warten.
Advocaat bleibt – auch wenn er nicht da ist
Obwohl Advocaat nicht in Nordamerika sein wird, hat er versprochen, weiterhin als Berater zu fungieren. "Ich halte täglich Kontakt mit dem Trainerstab", sagte er. "Ich habe volles Vertrauen in die Mannschaft. Sie haben sich verdient, was sie erreicht haben." Der Verband reagierte mit einer emotionalen Stellungnahme: "Der ganze Verband unterstützt ihn komplett. Dick ist mehr als ein Trainer – er ist ein Vaterfigur für diese Mannschaft."Die Reise zur WM 2026 beginnt jetzt. Die Vorbereitung wird schwierig sein – kein Geld für lange Trainingslager, kaum internationale Freundschaftsspiele. Aber die Mannschaft hat etwas, das man nicht kaufen kann: Glauben. Und das reicht. Manchmal reicht es sogar, um die Welt zu überraschen.
Was kommt als Nächstes?
Die Auslosung der Gruppen für die WM 2026 findet im Dezember 2025 statt. Curaçao wird in einer der unteren Keilchen gesetzt – aber das spielt keine Rolle mehr. Die Mannschaft hat bereits bewiesen, dass sie gegen alle Erwartungen spielen kann. Der nächste Schritt: ein Trainingslager in den Niederlanden, vielleicht sogar ein Freundschaftsspiel gegen eine europäische Nationalmannschaft. Und dann: die Reise nach Nordamerika. Mit einem Team, das aus Köchen, Lehrern und Studenten besteht – und einem Trainer, der nicht dabei sein kann, aber überall ist.Frequently Asked Questions
Warum ist Curaçao als kleinstes Land bei der WM dabei, obwohl es kein unabhängiger Staat ist?
Obwohl Curaçao politisch Teil des Königreichs der Niederlande ist, ist es seit 1986 als eigenständiger Verband bei der FIFA anerkannt und darf ein separates Nationalteam stellen. Dieses Modell gilt auch für andere Gebiete wie die Färöer-Inseln oder Gibraltar. Die FIFA erlaubt es historisch gewachsenen Verbänden, unabhängig von der politischen Souveränität zu starten – solange sie eine funktionierende Struktur haben. Curaçao erfüllt diese Kriterien – und hat sie jetzt mit Rekordkraft bewiesen.
Wie hat Dick Advocaat das Team so erfolgreich gemacht, ohne vor Ort zu sein?
Advocaat hat in den vergangenen 18 Monaten ein tiefes System aufgebaut: klare Taktik, hohe Disziplin und eine starke Mannschaftskultur. Er hat die Spieler persönlich kennengelernt, viele von ihnen in den Niederlanden trainiert und mit digitalen Tools den Trainingsplan konsequent umgesetzt. Seine Assistenten – allesamt langjährige Mitarbeiter – führen seine Philosophie fort. Der Erfolg ist kein Zufall, sondern das Ergebnis von Struktur, Vertrauen und langfristiger Arbeit – auch wenn er persönlich nicht auf der Tribüne saß.
Welche Spieler sind die Schlüsselakteure von Curaçao?
Zu den wichtigsten Spielern zählt Jordi Paulina, der als Stürmer bei Borussia Dortmund II spielt und in der Qualifikation mit sieben Toren maßgeblich war. Torhüter Dario van den Buijs, der in der dritten niederländischen Liga aktiv ist, hielt in vier Spielen die Null. Mittelfeldspieler Darryl van der Velde, der in Belgien spielt, organisierte das Spiel mit beeindruckender Ruhe. Die Mannschaft ist kein Sammelsurium von Profis – sie ist ein Team, das zusammenhält. Und das macht sie gefährlich.
Was bedeutet diese Qualifikation für den Karibikfußball insgesamt?
Curaçaos Erfolg ist ein Signal: Selbst mit wenig Ressourcen kann man es schaffen. Andere kleine Länder wie Suriname, Saint Kitts und Nevis oder Anguilla sehen jetzt, dass WM-Teilnahme möglich ist. Die Concacaf hat bereits angekündigt, mehr Fördermittel für Entwicklungsländer bereitzustellen. Und für Kinder auf den Inseln? Sie haben jetzt ein Vorbild – nicht nur einen Star, sondern eine ganze Nation, die beweist: Größe zählt nicht, wenn man den Glauben hat.